Christian Bach über mögliche Lösungsansätze zur Schadstoff- und Emissionsminderung

«Schweiz fürchtet sich vor Stromlücke» oder «EU fordert das Aus für neue Verbrenner bis 2035» lauteten Schlagzeilen der letzten Monate. «Es braucht jetzt Gesamtenergielösungen», ist sich Empa-Ingenieur Christian Bach sicher und spricht im Interview mit Ronny Arnold über den Ernst der Lage und mögliche Lösungsansätze.

Christian Bach, die Zeit der Verbrennungsmotoren läuft ab, die Zukunft gehört der Elektromobilität. Stimmen Sie zu?
Wir gehen davon aus, dass Personenwagen mit Benzin- und Dieselantrieb zwischen 2030 und 2040 aus den Neuwagenflotten verschwinden und durch Elektrofahrzeuge, (Plug-in-) Hybride, Biogas- oder Wasserstoff- Fahrzeuge ersetzt werden. Etwa ab 2040 wäre dann jedes zweite Fahrzeug in der Schweiz mit einem Stromstecker ausgerüstet. Für Lastwagen sowie Bau- und Landwirtschaftsmaschinen dürften Verbrennungsmotoren aber noch lange dominierend bleiben.

Die Automobilkonzerne setzen stark auf batterieelektrische Autos. Welche Alternativen gibt es noch?
Drei Antriebskonzepte kommen für die postfossile Mobilität in Frage: Batterie- Elektrofahrzeuge mit erneuerbarem Strom, Brennstoffzellen-Fahrzeuge mit Wasserstoff aus erneuerbarem Strom und verbrennungsmotorische (Hybrid-) Fahrzeuge mit synthetischen Treibstoffen. Basis für Letztere ist ebenfalls Wasserstoff. Jede dieser Antriebstechnologien hat energetische, betriebliche, ökologische und wirtschaftliche Vor- und Nachteile. Aus unserer Sicht braucht es alle drei Konzepte, um die CO2-Ziele zu erreichen.

Worin unterscheidet sich die Wasserstoff- von der Elektromobilität?
Wasserstoff- und Batteriefahrzeuge haben beide einen Elektroantrieb. Das konventionelle Elektroauto führt eine vergleichsweise grosse Batterie an Bord mit, die den Elektromotor antreibt. Beim Wasserstoff-Fahrzeug reicht eine kleine Batterie – meist ohne externe Lademöglichkeit. Es verfügt zusätzlich über Wasserstofftanks und eine Brennstoffzelle, die den Wasserstoff während der Fahrt in Strom umwandelt, um den Elektromotor anzutreiben. Wasserstoffantriebe dürften in nächster Zeit vor allem im LKW- und Bus-Bereich Verwendung finden.

Gerade Elektroautos brauchen grosse Mengen an Strom. Werden wir in der Schweiz künftig genügend Strom haben für diese Nachfrage?
Im Sommer ja, im Winter nicht. Insbesondere dann, wenn die Atomkraftwerke vom Netz gehen. Das ist eine der grossen Herausforderungen der Energiewende.

Wie lässt sich diese Winterlücke schliessen?
Da erneuerbare Elektrizität im Winter nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Mitteleuropa knapp ist, erscheint ihr Import in ausreichendem Umfang kaum realistisch. Zwar wird auch die Schweiz im Sommerhalbjahr einen Teil der Stromüberschüsse saisonal speichern können. Dies geschieht durch Umwandlung in lagerfähige synthetische Energieträger wie beispielsweise Methanol, die sich im Winter wieder verstromen lassen. Wir gehen allerdings eher vom Import synthetischer Energieträger aus Wüstenregionen und Offshore-Windparks aus – mit anschliessender Verstromung in der Schweiz, weil diese Kosten im Vergleich ziemlich sicher niedriger sein werden. Im Idealfall könnte dies in dezentralen Blockheizkraftwerken geschehen, sodass neben dem Strom auch die dabei entstehende Wärme genutzt werden kann.

Wie funktionieren diese Blockheizkraftwerke genau?
Blockheizkraftwerke (BHKW) sind «kleine Kraftwerke», die chemische Energieträger wie Erdgas / Biogas, Methanol oder Wasserstoff in Strom und Wärme umwandeln. Da Blockheizkraftwerke dezentral aufgestellt werden, kann die Abwärme im Gegensatz zu zentralen Kraftwerken insbesondere im Winterhalbjahr genutzt werden. Werden sie mit erneuerbarer Energie betrieben, resultieren niedrige CO2-Emissionen.

Sie sprechen eine Kopplung von Strom und Wärme an. Braucht es vermehrt eine Vernetzung des ganzen Energiesystems?
Ja, das ist absolut notwendig.

Wie schätzen Sie das Potenzial solcher integrierten Lösungen ein?
Gesamtenergielösungen sind der einzig richtige Weg. Das bedeutet, dass wir der Stromspeicherung, den Zeitpunkten der Stromentnahme aus dem Netz sowie der Nutzbarmachung von Überschüssen mehr Bedeutung zukommen lassen müssen. Ansonsten wird beispielsweise der Photovoltaikzubau permanent an wirtschaftliche Grenzen stossen, weil wir im Sommerhalbjahr ja schon heute zu viel Strom haben. Deshalb ist die Speicherung so entscheidend, um die Nachfrage dann zu decken, wenn sie da ist.

Was wird mit diesen integrierten Gesamtenergielösungen möglich sein?
Eine Studie der Empa hat gezeigt, dass sich mit optimalen Energiemanagementsystemen und zusätzlichen Kurzzeit-Stromspeicherlösungen gegenüber heute jährlich mehrere Terawattstunden (TWh) mehr erneuerbare Energie ins System integrieren lassen. Und zwar, ohne dass eine einzige Kilowattstunde mehr Strom produziert werden muss. Neben dem Zubau von erneuerbarer Energie sollte deshalb auch ihrer Integration mehr Beachtung geschenkt werden. Das sind beispielsweise Kurzzeit-Stromspeicher, Massnahmen zur Flexibilisierung des Strombezugs sowie die Umwandlung von überschüssigem Strom in chemische Energieträger, um die nicht elektrifizierten Energiesektoren zu dekarbonisieren.

Wie wird unsere Energielandschaft in dreissig Jahren aussehen?
Es muss uns innerhalb dieser Zeitspanne gelingen, sämtliche Energiesektoren von fossil auf erneuerbar umzustellen – bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Nuklearenergie. Das beinhaltet nicht nur die Herstellung und Nutzung erneuerbarer Energie, sondern auch viele Anpassungen bei den Speicherkapazitäten, beim Import von erneuerbarer Energie im Winter, bei den Kapazitäten der Stromnetze, bei der Tarifgestaltung und den Herkunftsnachweisen für erneuerbare Energie. Zudem muss es uns gelingen, im grossen Stil «negative CO2-Emissionen» zu erzielen, um die unvermeidbaren Emissionen aus Kehrichtverbrennung und Landwirtschaft zu kompensieren. Die Schweiz hat eine sehr gute Ausgangslage. Wenn wir unsere Aufgabe gut machen, wird es uns gelingen, auch wirtschaftlich davon zu profitieren. Denn die ganze Welt ist mit dem gleichen Problem konfrontiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview erschien im Magazin «energieUri aktuell», dem Kundenmagazin von EWA-energieUri. Zur ganzen aktuellen Ausgabe geht es hier.

Zur Person:
Christian Bach (57) ist Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf. Mit seinem Team forscht er an Lösungen, um die Schadstoff- und CO2-Emissionen der Mobilität zu senken. An der ETH Zürich hat Bach einen Lehrauftrag im «CAS / MAS Mobilität der Zukunft», an der Hochschule Luzern doziert er «Verkehrstechnik, Politik und Regulierung». Christian Bach ist zudem Mitglied verschiedener Fachgruppen.